Juliane Schiffers, Berlin

 

Denkgesten Sybille Krämers (V)

Selbstzurücknahme. Philosophie als Risiko

 

»Bildet die Fähigkeit, von der eigenen Personalität absehen, nicht im eigenen Namen, vielmehr mit der Stimme anderer sprechen zu können, nicht eine grundständige Bedingung der menschlichen Daseinsweise, einschließlich der Fallstricke, die das birgt?«
Sybille Krämer

 

»Wir sind stets mehr unsere Zufälle als unsere Wahl.«
Odo Marquard

 

In Sybille Krämers Kleiner Metaphysik der Medialität [1] findet sich die Überlegung, erst ein Absehen vom eigenen Selbst könne etwas anderes vergegenwärtigen als das, was das eigene Selbst ausmache. Anhand der Figur des Boten erörtert Krämer hier die Frage, inwiefern ein ›Sprechen mit der Stimme anderer‹ – ein Sprechen für einen anderen, Abwesenden – eine gewisse Form der »Neutralisierung« (S. 344) der eigenen Person voraussetzt: »Es geht um das Prinzip einer ›Selbstzurücknahme‹, der Fähigkeit also, von sich selbst absehen zu können, um etwas, das nicht wir selber sind, präsent zu machen.« [2]

Dieses Prinzip der Selbstzurücknahme kann in unterschiedlichen Hinsichten verstanden werden. Krämer selbst beschreibt es einerseits als ein (temporäres) Absehen vom eigenen Selbst, eine bewusst eingenommene Haltung der Zurückhaltung – andererseits verweist es aber als Prinzip auf eine tiefer liegende, man könnte sagen: metaphysische oder ontologische Möglichkeitsbedingung menschlichen Handelns. Medien-metaphysisch (wie man in direktem Anschluss an den Titel des Buches, der das Stichwort für meine Überlegungen liefert, sagen könnte) wirft es eine neue Perspektive auf. Ohne die reichen Analysen Krämers zum Botenmodell und seinen phänomenalen Spielarten der Übertragung (vom Virus über das Geld bis zum Zeugen) hier mit heranziehen zu können, lässt sich doch sagen, dass die für die Denkfigur des Boten wesentliche Selbstzurücknahme als Negativ des Mediums verstanden werden kann – und zugleich kein Positiv kennt, insofern hier keine Personifizierung des vielbeschworenen ›Dritten‹ beschrieben wird, [3] sondern eine Übertragungsfigur, die gerade ohne Personalität auskommt. Der Bote als die Figur eines Selbst, das sich als Selbst zurücknimmt und seine Neutralität so eigens herstellt (vgl. S. 275), erscheint als ein Paradox – wie Engel, Psychoanalytiker und vermeintlich unbeteiligte Zeugen, kurz: Zwischenwesen, ohne Vermittlung. [4]

Aspekte dieser komplexen Haltung bzw. des Prinzips der Selbstzurücknahme spiegeln, und dem gilt im Folgenden mein Interesse, einen wesentlichen Zug von Sybille Krämers Philosophieren – so abseitig diese Beobachtung zunächst erscheinen mag, angesichts des Selbstbewusstseins und der performativen Präsenz, die Krämers Sprache wie ihr Auftreten in der Wissenschaft prägen. Mehr noch: Eine Haltung der Selbstzurücknahme wie auch Strategien der Selbstvergessenheit und eine strukturelle Form der Selbstdistanz sind gerade die Möglichkeitsbedingungen des offensiven Neubefragens der Phänomene, wie es Sybille Krämers Philosophieren kennzeichnet – und, wie ich denke, das Philosophieren überhaupt.

Aber von vorn: Wie können die Aspekte dieser Negationen oder ›Neutralisierungen‹ der ›eigenen Stimme‹, wie kann diese epoché des Selbst verstanden werden – und inwiefern bildet sie eine wesentliche, wenn auch oft implizit bleibende Voraussetzung philosophischen Denkens?

Krämer selbst beschreibt die Selbstzurücknahme zunächst als eine Haltung des Zurücktretens, um anderes als die eigenen Intentionen bestimmend werden zu lassen. Sie erläutert das auf einer ersten Ebene als eine Möglichkeit des Sich-Verhaltens zu anderen oder zu den Dingen: In Weiterführung des Paradigmas des Boten könnte man an eine epistemologische wie ethische Haltung der Gleichgültigkeit oder eben der Neutralität gegenüber der zu überbringenden Botschaft wie auch gegenüber Sender und Empfänger denken. Selbstzurücknahme bedingt insofern, sich dem Kontext, in dem etwas geäußert wird, zu entziehen und die normativen Ansprüche, die damit einhergehen mögen, bewusst auszublenden, um die Botschaft wertfrei übermitteln zu können. Der Bote nimmt also eine Haltung ein, er aktualisiert eine bestimmte Fähigkeit – in dem Bewusstsein, dass es diesen Kontext der Äußerung gibt und dieser eine ethische und epistemologische Neutralität normalerweise strukturell verhindert. Das Negativ des Mediums ist also keines, das einfach ›da‹ ist, sondern es wird allererst erzeugt – und es ermöglicht der Botschaft, als solche zu erscheinen. Das Paradox besteht darin, dass der Bote intentional auch von seiner eigenen Person absehen muss – um als neutraler Mittler, als Mitte zwischen Sender und Empfänger, fungieren zu können.

Auf einer zweiten Ebene der Argumentation begreift Krämer diese Fähigkeit der Selbstzurückhaltung deshalb auch als »eine grundständige Bedingung der menschlichen Daseinsweise«: Von sich selbst absehen zu können, in Distanz zu sich selbst gehen zu können, ist so verstanden nicht eine Fähigkeit unter anderen, die man ausüben kann (oder auch nicht), sondern berührt die Struktur unseres Selbst- und Weltverhältnisses selbst. Krämer zufolge macht gerade die Möglichkeit einer, wenn nicht bewusst eingenommen Haltung der Zurücknahme, dann doch zumindest nachträglich affirmierten »Selbstvergessenheit« einen wesentlichen Zug der menschlichen Fähigkeit zur Produktion aus (vgl. S. 341ff.).

Letzteres erklärt sich nicht zuletzt mit einem Blick auf Krämers eigene Denkstrategien. Deren schöpferisches Potential wird eben dort freigesetzt, wo von eindeutig bestimmten Perspektiven und eingespielten Bezügen, die eine Persönlichkeit wie eine philosophische Schule oder Disziplin ausmachen mögen, bewusst abgesehen wird, um eine Offenheit für Überraschendes überhaupt zu gewinnen – auch für das Fremde im sicher geglaubten Eigenen, in den gewonnenen Überzeugungen und Interessen. Produktiv wirkt solche ostentativ vertretene Selbstvergessenheit, weil sie als ungesicherter Sprung in neues Terrain eine Perspektivverschiebung ermöglicht, mit der die Dinge in neuem Licht (und neue Dinge!) erscheinen können – und sei es zunächst nur für die anderen, die Leserinnen des Textes, die Hörer der Botschaft, bevor die Verschiebungen im Rückbezug auch für die Weiterentwicklung des eigenen Denkens fruchtbar gemacht werden.

Anders gewendet – und den engeren Kontext von Krämers Botenmodell verlassend – kann Selbstvergessenheit verstanden werden als ein (vorübergehendes) Aussetzen der Vergegenwärtigung dessen, was es heißt, ein Selbst zu haben. Eine insofern strukturelle oder generische Form der Selbstvergessenheit deutet dann konzeptuell nicht mehr auf eine der Person äußerlich gedachte Möglichkeit, sich den Dingen, dem Anderen und der Welt gegenüber auch zurückhaltend verhalten zu können, also eigene Wünsche und Entscheidungen zurückzustellen, sondern betrifft die Konstitutionsbedingungen von Personalität, mithin die Möglichkeitsbedingungen der Artikulation wie des Zurückstellens von Wunsch und Willen selbst. Der Ausdruck Selbst bezieht sich hier nicht auf einen fixen Inhalt, auch nicht auf bestimmte Intentionen oder Wünsche, von denen – gewissermaßen intendiert oder für bestimmte Zusammenhänge – abgesehen werden könnte, sondern beschreibt zunächst nur den reflexiven Bezug zur eigenen Seinsweise.

Diese Seinsweise und damit auch der Bezug dazu müssen – zumindest im Hinblick auf das Entfaltungspotential menschlichen Seins und Denkens wird das evident – als strukturell unabgeschlossen, weil zeitlich verfasst gedacht werden. Was es heißt, ein Selbst zu haben oder zu sein, bestimmt sich so zwar einerseits (und positiv) in einer Struktur von Zielsetzung und Entscheidung, hat aber andererseits Widerfahrnischarakter, ist stets auch (und negativ) durch die Unverfügbarkeit seiner Konstitutionsbedingungen und die Kontingenz des Zukünftigen bestimmt: Krämer selbst fasst das als eine gerade der Reflexivität menschlichen (Bewusst-)Seins eingeschriebene Paradoxie, wenn sie schreibt, »Selbstbezug« sei immer auch durch »Selbstentzug« gekennzeichnet. [5] Als Negativ all dessen, was positiv zugänglich ist, äußert sich diese Seite des Selbst in einer der Selbstreflexivität eingeschriebenen, insofern spezifischen Kontingenzerfahrung als dem Zugriff entzogene, aber zugleich jede Handlung ermöglichende Negativität: Denn das Negativ ist (zumindest in der analogen Welt, wo es, wie in der Photographie, das Potential für viele mögliche Welten bereithält) [6] eben das, was die Offenheit des Möglichen darstellt – als das, was gegenwärtig zugleich sein und nicht sein kann und damit Handlungsoptionen allererst eröffnet. Ein Selbst zu haben oder ›Man-selbst‹ zu sein ist so auf mehreren Ebenen durch eine – gleichwohl konstitutive und Reflexivität mitbedingende – Unverfügbarkeit dessen definiert, was einen (bewusst oder unbewusst) geprägt hat und als (Un-)Möglichkeitshorizont mitbestimmt. Selbstvergessenheit heißt vor diesem Hintergrund, sich dieser generischen Unabgeschlossenheit und Kontingenz der eigenen Seins- und Denkweise gerade nicht ständig bewusst zu sein, um allererst produktiv werden zu können – gewissermaßen im Blindflug einen Pflock einzuschlagen, um überhaupt irgendwo beginnen zu können.

Eine eigentümliche Mischung dieser Züge der Selbstzurücknahme als einer bewusst eingenommenen Haltung der Offenheit für Neues, der (gleichsam strategischen) produktiven Selbstvergessenheit sowie der generischen Momente von Unverfügbarkeit, die das eigene Selbst und Denken auch ausmachen, macht Sybille Krämers Philosophieren zu dem, was es ist – und führt zugleich einen Wesenszug allen Philosophierens vor Augen. Krämers Denken ist geprägt von einer Haltung schöpferischer Selbstvergessenheit, die bislang gehegte Überzeugungen und Perspektiven auf die Phänomene – immer wieder neu – in den Hintergrund treten lässt. Ihr fragender Stil lässt nicht nur immer die Möglichkeit anderer Antworten (oder eine Änderung der Fragestellung) zu, sondern provoziert sie; ein Anschluss an ihre Themen ist stets auch in ganz anderer als der Richtung ihrer eigenen Fragestellung möglich und gerade die Verpflanzung einzelner Thesen in andere Kontexte erschließt oftmals noch verstecktes (oder zurückgehaltenes?) Potential. Dies nutzt Krämer selbst, wenn sie abstrakte Gegenstände, Denkfiguren, Alltagsphänomene und theoretische Intuitionen ›irgendwie‹ (und, sich der Kontingenz bewusst, staunend) auf einer Ebene aufnimmt und aus diesem Tableau überraschende Funken schlägt.

Selbstzurücknahme und Selbstvergessenheit – wie (bitteschön!) passt das mit Gesten wie der ›Rehabilitierung von Vergessenem‹ und dem sicheren Aufspüren von bald darauf kontrovers diskutierten Phänomenen, die das Bild von Krämers Philosophieren vor allem prägen, zusammen? Das Paradox ist an dieser Stelle keines, denn gerade mit dem ungeschützten und immer wieder staunenden Blick auf den Reichtum des Denkmöglichen (nicht auf die Notwendigkeiten disziplinärer Enge oder selbst auferlegter Zwänge) ist ein starkes Selbstbewusstsein verbunden – und darüber hinaus auch ein Vertrauen in die Fähigkeiten anderer. Wer sich in seiner Theoriebildung auch darauf verlässt, dass andere die eigenen Ideen weiterentwickeln, die eigenen Thesen vielleicht gar als Boten einer selbst nicht intendierten Fragestellung begreifen oder den Inhalt des Gesagten neu und anders aufnehmen und in andere Kontexte stellen, hat großes Zutrauen in die Relevanz und Fruchtbarkeit dessen, was ins Blickfeld des eigenen Denkens geriet – und wenig Probleme damit, dass dies keine Schulbildung erlaubt, sondern vielmehr eine gewisse Kollektivität der Denkprozesse erfordert, mit aller Unvorhersehbarkeit, die dem anhaftet. Sybille Krämers Anspruch, immer dort anzufangen, wo eingefahrene Denkwege verlassen werden können, zeugt von diesem Selbstbewusstsein – und dieser Anspruch (nicht zufällig ein klassischer Einsatz der Philosophie) verunmöglicht zugleich (und gerade, weil sie diesen Grundsatz auch auf sich selbst anwendet), dass ihre Themen je abschließbar, zu einem definitiven Ende gedacht sein könnten.

Typisch krämersche Gesten wie das ›Sowohl – als auch‹ oder das Herausstellen von ›Ambivalenzen‹, ›Aporien‹ und ›Dilemmata‹, die keine Entscheidung zulassen, zeigen die Kraft der Enthaltung im Hinblick auf normativ-inhaltliche und selbst noch methodische Fixierungen des eigenen Denkens – es geht um mögliche Welten, nicht (nur) um die beste. Mit den offensiven Gesten der Unentscheidbarkeit fordert Krämer von sich und von anderen eine je neu zu entwickelnde Haltung zu immer wieder anders zu stellenden Fragen. [7]

Das ›Prinzip‹ der Selbstzurückhaltung, das ich als changierend zwischen der dem Botenmodell entlehnten Fähigkeit, sich (bewusst) zurückzunehmen, und einer (im metaphysischen Wortsinne) prinzipiellen Zufälligkeit, welche nichtsdestotrotz unsere ist – also Individualität nicht konterkariert, sondern mitbestimmt –, beschrieben habe, zeichnet sich, kurz gefasst, durch Offenheit aus. Und das bedeutet immer auch: es impliziert Kontingenz und das Eingehen eines Risikos.

Die von Krämer selbst im Botenmodell beschriebene Amphibolie, [8] das Riskante und Ambivalente einer so verstandenen (teils freiwillig, teils unfreiwillig eingenommenen) ›Haltung‹ der Selbstzurückhaltung, spiegelt sich deshalb auch in ihrem Denken, in seinen Wandlungen und offensiv zugelassenen Widersprüchen (und zuweilen auch in seiner Rezeption): In der Auseinandersetzung mit der Figur des Boten hat Krämer in der Selbstzurücknahme auch die Option einer »diabolischen Entgleisung« (S. 343) gesehen, mit der das zu Übermittelnde zum Guten wie zum Schlechten verändert werden kann. Diese Amphibolie ist dem Übertragungsmodell eben dann eingeschrieben, wenn der Bote als jemand gedacht wird, der zu seiner eigenen Rolle ein Verhältnis gewinnen und diese Rolle dann auch (bewusst) ausnutzen, mithin intrigieren, oder die ihm zugedachte Funktion, neutraler Überträger einer Botschaft zu sein, (auch unbewusst) unterlaufen kann. Solche ›Fallstricke‹ der Selbstzurücknahme birgt auch die Offenheit eines Philosophierens, das sich zwar nicht im Zugriff auf die Phänomene und Fragestellungen, aber mit Festschreibungen zurückhält – und deshalb sowohl für Missverständnisse sorgen kann (wie jede Frage, oder These, die zum Denken provoziert) als gerade so auch nah an den Phänomenen, entwicklungsfähig und selbstbewusst bleibt.

Trotz ihrer Ambivalenz ist die Selbstzurückhaltung also von einer bloß passiven Haltung der Selbstaufgabe zu unterscheiden – letztere wäre ohne jede (reflexive) Relation zu sich wie zu anderen zu verstehen und insofern als Denkfigur weder geeignet, um Medialität, noch um Philosophie zu begreifen.

Die metaphilosophische Implikation, die sich in der beschriebenen Mischung aus ›Sein-eigener-Zufall-sein‹ und ›Von-sich-absehen-können‹, um die Stimmen der anderen zu Gehör zu bringen, zeigt, ließe sich schlagwortartig so formulieren: Selbstzurücknahme als Ausdruck von Kontingenzbewusstsein und zugleich als philosophische Kontingenzbewältigungsstrategie. Nur, wer es vermag, der Kontingenz dessen, was ihn (als der, der er ist, in aller Unverfügbarkeit und mit allen Entscheidungen, die schon getroffen sind) zum Denken zwingt, dadurch zu begegnen, dass er es in seinem Widerfahrnischarakter akzeptiert (es also für zwingend hält, aber nicht für eine bloße Folge eigener Denktätigkeit), nur der kann sich auch überraschen lassen – das Denkmögliche als Herausforderung zu philosophieren nehmen und diese dann sportlich sehen, als existentiell erfahren, akademisch rückbinden oder alles zugleich. Selbstzurücknahme als riskante Praxis eines Denkens ohne Absicherung und doppelten Boden, gepaart mit dem Pathos des Erstaunens über das Denkmögliche: Das ist nicht nur der Ausgangspunkt jeden Philosophierens, es ist (s)ein Kern. Ein philosophisches Selbst zu haben heißt in diesem Sinne, im Paradox zu leben – sich zwischen und mit dem Gedachten, dem Zu-Denkenden und dem Denkmöglichen beharrlich selbst aufzuhalten, sich zurückzuhalten, um stets neu (und anders) anzufangen.

 

 

 



 

 

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Endnoten

[1] Sybille Krämer: Medium, Bote, Übertragung. Kleine Metaphysik der Medialität, Frankfurt a.M. 2008. Alle Seitenangaben im Text beziehen sich auf dieses Werk.

[2] Sybille Krämer: Handout zum Vortrag »›Der sterbende Bote‹. Reflexionen über die Selbstzurücknahme als eine medientheoretische Figur«, gehalten am 21.11.2008 bei der Tagung »Ökonomien der Zurückhaltung«, Berlin (Organisation: B. Gronau und A. Lagaay).

[3] Wiewohl der oder das Dritte als theoretische Figur, als Mitte, die nicht vermittelt, sondern Distanz schafft, unverzichtbar ist, um Medialität zu verstehen, und das »Botenmodell« mit einer so verstandenen Figur des Dritten arbeitet (vgl. z.B. S. 36ff. u. S. 345). Mir geht es hier nur um einen Aspekt dieser Figur, um die Selbstzurücknahme, die sie (eben auch, und in ambivalenter Weise) ausmacht.

[4] Dass diese drei Figuren ebenso wenig im Paradox aufgehen wie der Bote, zeigt Krämer in ihrem Buch; auch die Frage der Übersetzung gehört zu den spannungsreichen, distanzierenden wie modifizierenden ›Übertragungsverhältnissen‹, die sie untersucht (vgl. S. 122–260).

[5] Sybille Krämer: »Selbstzurücknahme. Über eine medientheoretische Figur und ihre (möglichen) anthropologischen Dimensionen«, in: Barbara Gronau, Alice Lagaay (Hrsg.): Ökonomien der Zurückhaltung. Kulturelles Handeln zwischen Askese und Restriktion, Bielefeld 2010, S. 39–52, hier S. 46f.

[6] In der analogen Welt steckt gerade im Negativ das Potential, das Zeit braucht zur Entwicklung, und dessen Positiv nur die Aktualisierung einer möglichen Welt darstellt (wie in der Fotographie); in der digitalen Welt gibt es streng genommen kein Negativ (kein minus eins), nur Veränderungen, Modifikationen der Immanenz, vielleicht so gesehen auch kein Positiv, oder bloß mögliche Welten... Die digitale Welt versucht dieser Unentrinnbarkeit mancherorts durch Strategien aus der analogen Welt zu begegnen (wie mit dem Selbstmordservice für Facebookprofile).

[7] Das Botenbuch, um bei diesem Beispiel zu bleiben, endet nicht etwa mit der Erprobung des Entwickelten (die gibt es auch), sondern mit einem »Epilog«, der ein Weiterdenken geradezu einfordert (vgl. S. 338–355). Der letzte Satz des Buches ist – selbstverständlich! – eine Frage.

[8] Vgl. dazu die Überlegungen zur ambivalenten »Heteronomie des Botengangs«, die eben den Gestus der »Selbstneutralisierung« einschließt, welcher die »Fremdartikulation« allererst ermöglicht (S. 271ff.).