Petra Gehring, Darmstadt

 

Wie präzise sind Metaphern?
Übertragung als Interferenz

 

»Ein Dröhnen [...],
mitten ins Metapherngestöber«

Paul Celan

 

»Die Metapher ist kein Reservat der Poesie.« Mit diesem Satz lässt Sybille Krämer im Jahr 1990 den Aufsatz Die Suspendierung des Buchstäblichen beginnen. Er behandelt die Entstehung metaphorischer Bedeutung und spannt einen Rahmen auf, der es erlaubt, die kreative Leistung des Metaphorischen von einer Sinnbildlichkeit her zu denken, innerhalb derer Sprachgebrauch und Weltbezug nicht als zweierlei erscheinen. [1] Nachgerade lassen sich beide – der Satz und der Aufsatz – wie eine Eröffnung für das anhaltende Nachdenken über die epistemische Funktion von Metaphern lesen, das damals begann und seit inzwischen zwei Jahrzehnten über Fächergrenzen hinweg stattfindet.

Namentlich in der deutschsprachigen Diskussion über die Metapher kommt einiges zusammen. Mit Texttheorie und Semiotik werden in den 1980-er Jahren, weit über die Grenzen der Sprachwissenschaft hinaus, teils Jakobson, Lacan, Derrida rezipiert, teils sprachanalytische Metapherntheorien. Auf den Spuren der Epistemologie entdecken Wissenschaftsgeschichte und Wissenschaftssoziologie der 1990-er Jahre das Wissen und die rhetorischen Techniken der Wissensproduktion – und arbeiten an Fragen von Metaphern und Modellbildung dann auch mit fusionierten Methoden in den science and technology studies. Die Medien-, Kommunikations- und eine aus der Literaturwissenschaft entwachsene, medienübergreifende Kulturwissenschaft richten ihr Augenmerk ebenfalls auf die unorthodoxen Formen und Ränder des Gesagten – im Zeichen von paradigm, discours und dispositif kommt hier der Sinn zwischen den Zeilen zu Ehren. Anders, aber mit mindestens ebenso viel Breitenwirkung sehen Hirnforschung und philosophy of mind in Metaphern, »mit denen wir leben«, einen Schlüssel zur Funktionsweise von Kognition. [2] Auch im Umfeld der sogenannten Bildwissenschaft und überhaupt in Fragen des Verhältnisses von Text und Bild trifft man auf die Metapher. Und schließlich gibt es da die Metaphorologie und die großen metapherngeschichtlichen Studien Hans Blumenbergs, welche die Metaphernhermeneutik beflügeln. [3] Im Jahr 2005 erschien ein erstes deutschsprachiges Lexikon der Metapherntheorien. [4] Aktuell sorgt das Verhältnis von philosophischer Begriffsgeschichte und Metaphorologie für Scharmützel. So viel Metapher war nie.

Vor diesem Hintergrund gewinnt Sybilles Krämers Intervention von 1990 die veränderte Bedeutung, ein Orientierungspunkt zu sein, eine Maßgröße, die aktuellen Debatten den philosophischen Spiegel vorhält.

Ich fasse den Text zunächst auf meine Weise zusammen, knüpfe dann einige erweiternde Vorschläge an und ende mit einer – Sybille Krämers Ansatz verbundenen – These zum Problem der epistemischen Präzision, welche Metaphern gemeinhin abgesprochen wird. [5]

 

1.

In drei Schritten geht Sybille Krämer – nachdem die philologische Kategorie der »toten« Metapher sowie die Annahme einer Substituierbarkeit (und also Arbitrarität) von Metaphern ausgeschieden sind und in semantologischer Hinsicht allein die sogenannten Interaktionstheorien der Metapher bleiben – auf die »Innovation unseres Wirklichkeitsbezuges« (S. 63) in der Metapher zu. Die Metapher ist epoché des Buchstäblichen, nicht semantisch pertinent, sondern »impertinente Prädikation« (S. 64), eine Sinndurchbrechung also, oder noch allgemeiner gesprochen: zunächst einmal ein negatives Phänomen. Diese Einsicht klingt harmlos, ist es aber nicht. Denn das, was eine Metapher an positivem Sinn gewinnen kann, ist damit erstens der Ebene regulärer Bedeutungen entzogen – es muss nicht nur ›andere‹ Bedeutung eingesetzt werden (so als müsse da gleichsam ein Ersatz-Lexikon verwendet werden), sondern die Form der fixen Bedeutung überhaupt hakt aus. Zweitens ist sprachpragmatisch eine Operation erforderlich, die im Normalfall nicht nötig scheint: Die Negation erzwingt ein Umschalten – so stellen wir es uns jedenfalls vor. Eine Irritation bedarf der Bewältigung. Sybille Krämer spricht von »therapeutischen« Schritten »zur Überwindung der Sprachverletzung durch die impertinente Prädikation sowie von »Sublimierung« (S. 64). Drittens legt Negation im ersten Zug nichts, bzw. als Ereignis im Kontext, als ›bestimmte‹ Negation, die sie ist, nur wenig fest. Dies wiederum bedeutet, dass der positive Sinn der Metapher stets aus einer Vielfalt herausgefunden werden muss. Sofern die Metapher Durchbrechung ist, eröffnet sie einen Raum von semantischen, oder vielleicht sollte man sagen: von verständnispragmatischen Möglichkeiten. Dies wiederum tut sie – darauf wird zurückzukommen sein – nicht ihrerseits wieder als Spiel nach allgemeinen Regeln. Sondern jeweils an Ort und Stelle: genau ›so‹ erst einmal jeweils nur ›hier‹.

In einem zweiten Schritt arbeitet Sybille Krämer heraus, dass – sofern es überhaupt ›rein‹ sprachlichen Sinn gibt – das Verständnis von Metaphern jedenfalls keine sprachimmanente Leistung sein kann. Die Widerstimmigkeit der Worte wird überführt in eine höhere Stimmigkeit zwischen den Gegenständen unserer Erfahrung. Es artikuliere sich – man beachte die Anführungszeichen – die »Ausdruckkraft der Dinge selbst« (S. 64), und zwar genauer: »die Bedeutung der Gegenstände und Vorgänge, auf die sich die Zeichen beziehen« (S. 65). In der Lücke, die im Buchstäblichen aufklafft, treten gleichsam die Gegenstände selbst in Erscheinung. Dass dabei tatsächlich Bedeutung entsteht, scheint in zwei Schritten (oder mindestens auf zweifachem Wege) möglich zu sein: Gegenstände können eine Anzeichenfunktion haben, dann wird an ihnen situativ etwas deutlich (das bewegte Wasser deutet auf Wind). Oder sie können als Symbol fungieren (das bewegte Wasser steht für Unruhe und Aufbruch). In der Metapher erfolgt eine Transformation von Welttatbeständen in Sinnbilder, so fasst Sybille Krämer beide Modi zusammen. Dieses in seinen Grundzügen nicht unbedingt gegenstandsrealistische Argument – es geht um Tatbestände oder Vorkommnisse – enthält mindestens vier weitere Thesen:

 

[a] In der Metapher wird etwas normalerweise Stummes zum Symbol transformiert,

[b] entscheidend hierfür ist Anschaulichkeit: Die symbolische Transformation resultiert in einem Bild,

[c] Bilder stellen nicht nur dar, sondern zeigen an sich selbst, was sie sagen, und drücken in diesem pointierten Sinne etwas aus, und zwar

[d] etwas auf beispielhafte Weise Allgemeines.

 

Zusammenfassend bezeichnet Sybille Krämer die funktionierende Metapher als »Sinn-Bild«. »Welche Eigenschaft eines Vorkommnisses als so exemplarisch gilt, daß dieses Vorkommnis in ein Sinnbild verwandelt werden kann, ist durchaus offen: Diese Eigenschaft zu entdecken, ist der eigentlich schöpferische Akt, der mit der Interpretation einer Metapher verbunden ist.« (S. 66) Freilich ist nicht Beliebiges möglich. Es gibt vielmehr eine Leitlinie, nach welcher sich die Richtung bemisst, »in der nach sinnbildlichen Eigenschaften überhaupt zu suchen ist« (ebd.). Im Zusammenhang mit der Konstitution des Sinnbildes spricht der Text auch von einer »höheren Ordnung zwischen den Dingen selbst« (S. 67).

Im dritten Schritt stellt sich die Frage, auf welche Weise zwischen zunächst disparaten Gegenständen, bringt die Metapher sie in einem neuen Sinn zum Sprechen, semantische Brücken entstehen. Die Antwort fällt erneut zweistufig aus. Da ist zum einen die Analogie: Metaphern setzen »ein Spiel der Ähnlichkeiten frei« (ebd.): Als »ähnlich« gesehene oder erlebte Eigenschaften von Objekten ergeben den übertragenen Sinn (das brachiale Gesprächsverhalten einer Person gleicht einem Pflug, ein Gesicht gleicht einer welken Pflanze). Zum anderen ist da der Mythos, der aus Ähnlichkeiten gewobene Zusammenhang: »[W]enn die identitätsstiftende Rolle des Analogischen ein Charakteristikum des mythischen Weltbildes ist, dann zeugt die Metapher vom lebendigen Fortbestand einer mythischen Sicht der Realität.« (S. 68)

Diese Sicht der Metapher geht also von Zeichendifferenzen aus. In der Zone der suspendierten Buchstäblichkeit wird dann aber eine Erfahrung wirksam, welche an den Gegenständen Zeichen entdeckt und diese in Zeichen verwandelt. Die Sprache greift gleichsam aus auf das, was die Dinge sonst nur verkörpern, und umgekehrt spielen die Dinge plötzlich in die Welt der Bedeutungen hinein. Eine Art Ausnahmezustand der Sprache bindet sie – vielleicht archaisch – an die Welt des stummen Erlebens zurück.

 

2.

Man kann Sybille Krämers Metapherntheorie von 1990 als eine Interaktionstheorie der Metapher beschreiben, die gleichwohl an einem über stumme Gegenständlichkeit vermittelten Weltbezug festhält und in diesem phänomenologischen Sinne realistisch ist. Semantizistische Theorien der Metapher scheiden ebenso aus wie Ansätze, denen zufolge die Außenwelt sich lediglich dank mentaler Konzeptsysteme in unserem metaphorischen Vermögen spiegelt. Sprache und Dinge sind keine getrennten Welten, sondern kommunizieren miteinander, und zwar durchaus mühelos – in einem Modus, dem man nicht seinerseits anmerkt, woher er wiederum seine Treffsicherheit nimmt. In Die Suspendierung des Buchstäblichen gibt es hierzu Verweise auf »Anschauung« und »Bild« sowie auf die Evidenz von »Ähnlichkeiten«, auf die »Ausdrucksrelation« und den »Mythos« als Elemente der Sinnbildlichkeit. Das gibt Himmelsrichtungen an. Es beantwortet freilich eher Was- als Wie-Fragen.

Folge ich der Intuition des Textes – Kombination einer Interaktionstheorie der Metapher und einer Gebrauchstheorie der Bedeutung(en), die den leibhaftigen Text als Ding unter Dingen und umgekehrt den praktisch-appellativen Sinn von Gegenständen als eine Art parole, als kommunikativen Sachverhalt interpretiert – so lassen sich einige Punkte zuspitzen.

 

(a) Ist die Deutung der Durchbrechung der Spielregeln des Normalverstehens – der »Sprachverletzung durch impertinente Prädikation« – als Außer-Geltung-Setzen und anschließende Reparatur der Bedeutung des Fokuswortes nicht noch recht eng einer lexikalischen Idee der Bedeutung, also einer Linguistik der Einzelwortbedeutungen verbunden? Wähle ich tatsächlich den interaktionstheoretischen Standpunkt, dass Sprach- oder Textgebrauch im Spiel der Differenzen zwischen in Umfang und Funktion variablen Ausdrücken für Bedeutungsschärfe sorgt, so mag man – genereller – vom Fokusausdruck und von der ganzen metaphorischen Stelle sprechen, die sich dem Normalgebrauch (und u.U. nicht nur der Prädikation) widersetzt. Nicht eine metaphorische Wortbedeutung, sondern der spezifisch metaphorische Sinn einer Stelle erbringt dann die Sublimierungsleistung, aus der ›die‹ Metapher besteht.

Diese eher textpragmatische Sicht kommt der Idee einer Übergängigkeit des Sinnes und auch der Bedeutungen entgegen. Der Augenblick der Suspendierung des Buchstäblichen ist kein ›Sprung‹ aus der Sprache und alternatives Umschalten auf Weltwahrnehmung. Um den fremden Sinn einer – in der Spannung von Fokusausdruck und Rahmen zunächst unklaren, paradoxen – Stelle zu ermitteln, wird vielmehr der Fokus im wahrsten Sinne des Wortes geöffnet: Kontexte werden wichtig. Und zwar solche, die wir als sprachlich, und solche, die wir als – von der Sprache her gesehen – stumm bezeichnen.

 

(b) Die Akzentverschiebung ist nicht gravierend, aber sie tangiert das, was bei Sybille Krämer die »Transformation von Welttatbeständen in Sinn-Bilder« heißt. In ihrem Text wird nicht ganz deutlich, ob es die (durch die lexikalische Bedeutung der in die Metapher verwickelten Ausdrücke bezeichneten) Gegenstände, die (wahrnehmbaren, wahrgenommenen) Dinge oder in einem umfassenderen Sinne Vorgänge, vielleicht kann man sagen: Weltausschnitte sind, die helfen, die Widerstimmigkeit der Worte zu heilen. Offen ist auch, ob es sich bei dem, was in der Metapher ins Spiel kommt, um aktuelle oder aber erlebte Gegenstände handelt und inwieweit unser diesbezügliches Weltwissen wiederum symbolisch vermittelt ist. Soweit ich sehe, will Sybille Krämer hier einen Mittelweg wählen, wenn sie sagt, dass wir bei dem Versuch, eine Metapher zu verstehen »von der Bedeutung der Zeichen übergehen zur Bedeutung der Gegenstände« bzw. zu der Frage, »was das reale Vorkommnis« für eine Bedeutung hat (S. 65). Es betreten nicht die Dinge selbst das Zimmer. Ich muss nicht hier und jetzt eine welke Pflanze sehen, um hier und jetzt die Metaphorik des welken Gesichts zu verstehen. Aber ich bediene mich eben auch nicht nur eines lexikalisch konsistenten Wortfeldes oder eines allein sprachlich bereitgestellten Bildfeldes von ›welk‹, wenn mir die Metapher etwas sagt.

Gleichwohl bleibt die Frage: Wessen bediene ich mich dann? Mit den Stichworten, die der Text bietet – die Analogie zur Deutung von Anzeichen, die Analogie zur bildvermittelten Bedeutung, die Analogie zu Goodmans an sich selbst (sichtbar, hörbar) vorstellig gemachtem Ausdruck – ist man gezwungen, nach der Rolle der Wahrnehmung als dem möglicherweise entscheidenden Ausgangspunkt für die Sinn-Bildlichkeit zu fragen. Genauer: Muss Textwahrnehmung gegen Sinneswahrnehmung ausgespielt werden, um die Metapher zu fassen?

Ein Stück weit ist das in Sybille Krämers Überlegungen der Fall. Wenn welkende Pflanzen oder die ruppigen Pflugbewegungen des Ackerbauern »in Sinn-Bilder für etwas verwandelt« werden (S. 65), so kommen die gerade nicht durch bloße Worte vermittelten Formen – die Selbstexposition des Ausdrucks, die Kraft des Bildes und die Fülle der möglichen Eigenschaften von Gegenständen – zum Zuge. Dass Metaphern nicht paraphrasierbar sind, hängt mit einer Unabschließbarkeit zusammen, die gewissermaßen dem sinnlich unreduzierten, wahren Leben entstammt.

Dass die Welt der nicht explizit sprachsymbolisch vermittelten (oder gar in Lexika gespeicherten) Erfahrung, dass Erlebtes, Erinnertes, vielleicht auch Aktuell-Situatives in der Metapher mehr als im normalen Sprachgebrauch üblich zur Bedeutung beitragen kann, scheint mir unbestreitbar. Wird die Welt der bereits vorhandenen Symbolisierungen aber ausgeschaltet? Und kann man wirklich sicher sein, dass die sprechende Pointe einer Metapher (das, was sie bedeutet) zumeist in der Metamorphose eines Dings zum Sinnbild besteht?

Schon wenn man zugesteht, dass der Fokusausdruck nicht unbedingt ein einzelnes Wort ist [6] und es auch nicht der Fokus allein ist, sondern ein Bündel von Differenzen, ein komplexes Interaktionsphänomen, das die Metapher macht, so ist der Gedanke schwer durchzuhalten, dass Metaphern im Sinnbildlich-Werden von Gegenständen ihre Erklärung finden. Eher wird sich die Deutung unter anderem auf – wahrscheinlich mehrere – gegenständliche, teils der sinnlichen Erfahrung mit den Dingen nachgespürte Eindrücke erstrecken, teils aber auch Ungegenständliches, semantische Konnotationen und überhaupt allerlei symbolisch Vermitteltes enthalten: Erinnertes, Erzähltes und Imaginäres. Dazu schwingen womöglich regelrechte Intertexte und phonetische Aspekte mit.

Ich greife das schöne Beispiel des Vorsitzenden auf, der »durch die Diskussion pflügt«. [7] Ist pflügen der Fokusausdruck, so sind damit, durch eine Diskussion zu pflügen und, damit, dass er, der Vorsitzende, jemand ist, der dies tut, schon zwei Rahmungen gegeben, an denen sich alle Wege zu Gegenständen, die hier ins Spiel kommen, gabeln. Auch sind sofort Interaktionen erkennbar: Durch die Diskussion pflügen ›erdet‹ im wahrsten Sinne des Wortes den luftigen Austausch der Meinungen – und wenn der Vorsitzende pflügt, so wird nicht irgendjemandem die ländlich-schlichte Handarbeit zugeschrieben, sondern einem Amts- und womöglich Anzug- und Krawattenträger, dessen Gebaren die Metapher nicht zuletzt unter dem Blickwinkel der Klassenzugehörigkeit ironisiert. Was wir mit der Tätigkeit des Pflügens verbinden, dürfte wiederum diverse eher ungenaue Vorstellungen mobilisieren, die heute vermutlich weitgehend durch Texte (Romane, die auf dem Lande spielen), durch Intertext (Schwerter, die besser Pflugscharen wären), durch Wortfelder (bebauen, eggen, säen) oder Bildfelder (Acker, Männerfaust, Traktor, ziehende Wolken) vermittelt sind. [8] Es mögen sogar die Melodie eines Kinderliedes oder das zur Dehnung einladende »ü« im Wort pflügen zu den metaphorologischen Pointen der fraglichen Stelle beitragen – und womöglich bedarf es näherer Vertiefung, um zu begreifen, dass das Pflügen (ebenso wie das Säen) in der europäischen Symbolwelt traditionell als männlich gilt und dass realsemantisch zum Pflügen hinzugehört, Druck von oben auszuüben, eventuell vorhandene Pflanzen unterzupflügen und das Untere zuoberst zu kehren. Vor allem aber ist die textuelle Umgebung der Metapher wichtig. Nehmen wir an, sie entstamme dem Zusammenhang einer längeren Schilderung: Finden sich in den Sätzen vorher bereits verwandte Metaphern? Ist der thematische Rahmen einer, von dem das primitive Landleben absticht, was den Kontextbruch verstärkt? Gibt es einen locus classicus für die Metapher, so dass sie diese möglicherweise zitiert? Letzteres schafft dann ganz neue Kontexte, die zu goutieren wiederum einer gewissen Kennerschaft bedarf.

Fazit: Wenn die Metapher die Sprache für die Welt der Dinge öffnet, so bleibt die Welt der innersprachlichen Bezüge mit im Spiel. Und in letzter Instanz sind es nicht Gegenstände oder Dinge, sondern die in der bestimmten Negation des Fokusausdrucks entspringenden konstitutiven Differenzen, mit welchen die Metapher arbeitet – auch dann, wenn Gegenständliches mitschwingt. Nicht als Umschwung in Richtung einer von der Sprache nur im Störungsfall zugelassenen ›realen‹, außersprachlichen Welt mit anschließender symbolischer Umwertung der Dinge findet die Metapher zu ihrem Material und zu ihrer Semantologie. Sondern indem dort, wo es irregulär wird, die fragliche Grenze – diejenige zwischen solchen Konnotationen und solchen – nebst der dazugehörigen Zwei-Welten-Logik ebenso begehbar wird wie diejenige zum ›neuen‹ Sinn.

 

(c) Die Rede vom Mythos meint natürlich genau dies. Gleichwohl ist auch hier erstens die Frage, ob Ähnlichkeit, zumal die Ähnlichkeit der Eigenschaften von Gegenständen, die einzige oder auch nur die hauptsächliche Relation ist, welche die Semantik einer gewitzten Metapher bestimmt. Ich denke nein. Auch hier treten die Modelle der Übertragung (von X zum ähnlichen Y) oder der Ersetzung (X statt Y, weil ähnlich) hinter das Modell einer Interferenz zurück, die ganz unterschiedliche Relationen zulässt – den Widerspruch, die Verfremdung, die ironische Brechung, die paradoxe Verstärkung, die kleine Variation. Zwar können sich »durch die Analogie alle Gestalten der Welt einander annähern« (S. 68). Dennoch legt weder das Faktum, das die Metapher Unerwartetes ins Spiel bringt, sie auf Ähnlichkeitsbeziehungen fest, noch führt das Spiel von Anknüpfungen, das sie jenseits der Normalbedeutungen eröffnet, zwangsläufig in eine Welt von magischen Analogien. Auch in ihrem Wie sind Metaphern diskursabhängig und eng an das geregelte Spiel der Normalbedeutungen gebunden, das sie im Gelingensfall überbieten. Ist die Metapher »mythische Sicht der Realität« (ebd.), so ist es auch der Logos selbst.

 

3.

Der Gedanke, mit dem ich – mit den geschilderten kleinen Modifikationen – an Sybille Krämers Metaphernaufsatz anschließe, betrifft ein epistemisches Vorurteil, das trotz der Rehabilitierung der allgemeinen Bedeutung des Metaphorischen für die Sprache der Wissenschaften unvermindert im Raum steht. Es handelt sich um die Annahme, die spezifische Rationalität der Metapher funktioniere weniger exakt (Klarheit stiftend) oder auch präzise (Unwesentliches vorweg ausscheidend) als der – von vornherein reduktionistische – Begriff.

Gerade die Freunde der Metapher romantisieren das metaphorische »Gleiten« im Inneren des Sinnes (Lacan), die »Leere« (Derrida), die »Unbegrifflichkeit« (Haverkamp mit Blumenberg), die »Unbestimmtheit« (Menke mit Wittgenstein) der semantischen Grenzen von Metaphern. Auch Sybille Krämer betont, der Prozess der Verwandlung ins Sinnbild und dessen Deutung seien »im Prinzip unausschöpflich« (S. 66). Ist aber – und in welchem Sinne – das Buchstäbliche wirklich präziser als das Metaphorische?

Dass Metaphern gleichsam blank bleiben, fragt man jenseits eines konkreten Vorkommens nach ihrer Bedeutung, liegt klar auf der Hand. »Ein Metaphernlexikon kann es nicht geben« (S. 61), heißt es in Die Suspendierbarkeit des Buchstäblichen, und dies ist die lapidare Wahrheit. Bedeutungen könnte ein solches Nachschlagewerk allenfalls in Form von Gebrauchsweisen verzeichnen, die es nicht zusammenfasst, sondern lediglich zeigt. Auch Definition oder erschöpfende Paraphrase sind nicht möglich.

Dennoch ist damit zunächst nur gegen das Gebot der Verallgemeinerbarkeit verstoßen, nicht gegen das Erfordernis der Präzision. Gerade umgekehrt erreichen – als gezielte Abweichung im Reich der verallgemeinerbaren Begriffe – einzelne Metaphern in wissenschaftlichen Texten unter Umständen hohe Präzision. Ihre Rolle im Einzelfall kann durchaus diejenige sein, Unterscheidungs- und Auflösevermögen und also claritas an Ort und Stelle im Text zu steigern – und zwar eben hier und jetzt noch über das begrifflich gewonnene Maß an Exaktheit hinaus.

Es gilt also zwei Ebenen zu unterscheiden: Die Ebene einer (generellen) terminologischen Unbestimmtheit und die Ebene des Einzelvorkommens. Mögen Metaphern zwar das allgemeine Geheimnis ihres Funktionierens nicht in sprachwissenschaftlicher oder metapherntheoretischer Fassung preisgegeben haben, so spricht die Metapher doch unter den geeigneten Umständen mit höchster Luzidität – und das je einzelne metaphorische Vorkommen lässt sich ebenso gewinnbringend (und genau) analysieren, wie sich am Beispiel ›dieser‹ Metaphern über Kriterien unterscheidungsscharfer Metaphorik diskutieren lässt.

Metaphorologie ist daher möglich. Konkret: als Individualisierung der Präzisionsbedingungen einer Metapher an ihrem Ort im Text. Oder allgemeiner: als Analyse der Spuren der Arbeit der Metapher im Reich des Begriffs, soweit es Evidenz dank Metaphern und auch – gerade im gut kalkulierten Zusammenspiel mit dem Kontext, den sie auf sprechende Weise durchbricht – wissenschaftliche Exaktheit dank Metaphern gibt. Metaphorologie läuft leer, solange sie sich auf die generalisierende Beschwörung von différance oder Unbegrifflichkeit verlegt. Ihre eigentliche Frage ist die nach der in einer Metapher dennoch oder vielleicht gerade möglichen Präzision. [9]

Dass Metaphern beinahe unendlich ausdeutbar sind, ignoriert man die jeweils spezifischen Bedingungen, die ihre Semantologie formen, besagt wenig. Auch Begriffe lassen sich bei entsprechendem Willen zur Tiefenhermeneutik nahezu beliebig umkontextualisieren und sind unbegrenzter Auslegung fähig. Angesichts des Metapherngebrauchs in ›denkenden‹ Texten kommt es also auf den Einzelfall an – mindestens de jure ähnlich wie bei der Arbeit an Begriffen, wenn auch de facto die Rekonstruktion der Interferenz der jenseits der Buchstäblichkeit hereindrängenden semantologischen Aspekte dann doch eine völlig veränderte Aufgabenstellung darstellt.

Ist die Metapher, einsetzend mit einem Bruch, etwas Singuläres, so mag sie in dem vielleicht dann doch übertragenen Sinne die Dinge selbst zum Sprechen bringen, dass die sich in ihr brechenden Konnotationen für den Moment den ›Sachen selbst‹ näher sind als Sprache sonst. Nicht jede Metapher ist freilich ergiebig. Inkonsistente, redundante, schwache und auch klischeehafte Metaphorik gibt es in Mengen. Und selbstverständlich haben auch Kontextbrüche ihre Funktion innerhalb von Diskursen und zwischen ihnen. Metaphorologie lehrt daher nicht nur etwas über die poetische Dissidenz des Denkens, sondern auch etwas über die auch jenseits der lexikalischen Normalität in den metaphorischen Eskapaden der Theoriesprache gleichwohl wirksame Ordnung (vgl. S. 67). Sybille Krämer spricht daher sehr zu Recht so vorsichtig vom schöpferischen Akt der Metapherninterpretation, von der »Wahrheitsfähigkeit metaphorischer Sätze« (S. 63) und vom »Logos« (S. 68), der dem metaphorischen Satz innewohnt. »Die Metapher«, schreibt sie an einer Stelle, »leistet eine Synthese in unserer Erfahrung der Welt, die durch die definitorische Arbeit der Verstandesanalytik gerade verlorengegangen ist« (S. 67). Dazu passt eine Ergänzung: Diese Synthese stellt sich Definitionen entgegen. Sie bietet aber ihrerseits die Möglichkeit einer Exaktheit, durch die schlagend etwas klar wird. Und zwar überall dort, wo Metaphern vorhandene begriffliche Differenzierungen nutzen und – zugunsten von Wirklichkeit – zu dynamisieren verstehen. [10]

 

 

 



 

 

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Endnoten

[1] Sybille Krämer: »Die Suspendierung des Buchstäblichen. Über die Entstehung metaphorischer Bedeutung«, in: Allgemeine Zeitschrift für Philosophie 15 (1990), S. 61-68, hier S. 61. Alle Seitenangaben im Text beziehen sich auf diesen Aufsatz.

[2] George Lakoff, Mark Johnson: Metaphors We Live By, Chicago 2006.

[3] Hans Blumenberg: Paradigmen zu einer Metaphorologie, Frankfurt a.M. 1997.

[4] Ralf Konersmann (Hrsg.): Wörterbuch der philosophischen Metaphern, Darmstadt 2007.

[5] Mit der Metapher ist für mich auch in unvergesslicher Weise das – war es im Sommersemester 1986? – an der Universität Marburg besuchte Seminar von Sybille Krämer zum Thema verknüpft. Wie danken? Das gilt für vieles andere seither.

[6] Oder gar nach dem Muster »X ist ein Y« ein Substantiv, wie auch der Fokus nichts sein muss, auf das sich eine Prädikation richtet; er kann selbst eine Prädikation enthalten.

[7] Max Black hat es eingeführt, es ist komplexer als »Richard ist ein Löwe«. Zur nicht immer hilfreichen (weil schematischen) Beispiele-Kultur in der Metapherntheorie vgl. Verf.: »Erkenntnis durch Metaphern? Methodologische Bemerkungen zur Metaphernforschung«, in: Matthias Junge (Hrsg.): Metaphern in Wissenskulturen, Wiesbaden 2009, S. 203-220.

[8] Zu metapherntheoretischen Kurzschlüssen, die mit dem Stichwort Bild verbunden sein können, vgl. Verf.: »Das Bild vom Sprachbild: Die Metapher und das Visuelle«, in: Lutz Danneberg, Carlos Spoerhase, Dirk Werle (Hrsg.): Begriffe, Metaphern und Imaginationen in Philosophie und Wissenschaftsgeschichte, Wiesbaden 2009, S. 81-101.

[9] So im Grundsatz schon Max Black: »Eine geglückte Metapher wird in der Rede realisiert, sie ist im gegebenen ›Text‹ verkörpert und braucht nicht als ein Rätsel behandelt zu werden.« (Max Black: »Mehr über die Metapher«, in: Anselm Haverkamp (Hrsg.): Theorie der Metapher, Darmstadt 1983, S. 379-413, hier S. 384) Blacks Einsicht verleihe ich hier – gegen die Beschwörung von »Unbestimmtheit« – Nachdruck. Im Übrigen unterstreicht es Sybille Krämers Anliegen, dass das Wort Text im zitierten Zusammenhang in Anführungszeichen steht.

[10] Dem Wissenschaftskolleg zu Berlin, in dessen Obhut ich im Oktober 2010 diesen Aufsatz beenden durfte, sei für seine einzigartigen Arbeitsbedingungen gedankt.