Gabriele Gramelsberger, Berlin

 

Ex Machina Symbolica

 

Das Verhältnis von Mensch und Maschine ist ein ganz besonderes. Erst im Angesicht der Maschine, so könnte man sagen, erkennt sich der Mensch selbst. Auf alle Fälle lässt sich aber an den Maschinen das Verhältnis des Menschen zur Welt ablesen. Das ist kein Zufall, sind doch alle Maschinen von Menschenhand geformt – von der simpelsten Kaffeemaschine bis hin zum computergesteuerten Satelliten. Maschinen haben nicht nur mit uns die Welt und den Weltraum erobert, sie konstituieren ein eigenes und stetig wachsendes Maschinenuniversum, das weitaus bevölkerter ist als die bewohnbaren Regionen unseres Planeten mit gerade einmal sechs Milliarden Menschen.

 

Handfeste Maschinen

Augenfälligste Eigenschaft von Maschinen ist ihre Handfestigkeit. Als Manifestationen menschlichen Erfindungs- und Konstruktionswillens und als verkörperte Zwecke nehmen sie die unterschiedlichsten Gestalten an: von der ›bella machina‹ eines windschnittigen Ferraris über die bizarren Formen antiker bis zeitgenössischer Theatermaschinen bis hin zu Franz Gsellmanns Weltmaschine. [1] Dabei zeigt sich, dass das besondere Verhältnis von Mensch und Maschine eines ist, das in erster Linie von der Hand – nicht vom Auge – her zu denken ist. Das Apriori der Handfestigkeit transzendiert sich dabei in der reinen Funktion des Knopfes. Keine Maschine, egal welchen Formats oder welcher Couleur, kommt ohne einen solchen aus. Der Knopf setzt die Maschine in Gang, mit ihm steuert der Mensch die Maschinenfunktionen. Im Knopf zeigt sich nicht nur die grundlegendste aller Schnittstellen zwischen Mensch und Maschine, sondern auch die eigentliche Bestimmung dieses symbiotischen Verhältnisses: dem Menschen auf Knopfdruck zweckdienlich zu sein. Dabei kann der Knopf auch ein Regler, ein Schalter oder heutzutage ein Sensor sein.

Im Sensor kündigt sich an, was seit einiger Zeit im Verhältnis von Mensch und Maschine im Wandel begriffen ist: die Ablösung des Knopfdruckzeitalters der mechanischen Maschine und des Primats der Hand. Vorbereitet wird diese Ablösung durch die allgegenwärtige Fernbedienung, die den Knopf von der Maschine weg in eine allgemeine Knopfdruckmaschine verlagert und der so adressierbaren Maschine eine permanente Bereitschaft im Stand-by Modus abverlangt. Auf diese Weise lassen sich, theoretisch zumindest, beliebig viele Maschinen mit einer einzigen, universellen Fernbedienung steuern. Die Voraussetzung dieses Wandels im Verhältnis von Mensch und Maschine sind zweierlei: Zum einen bedarf es der Nutzung eines Mediums – die Rede ist hier von Funk- und Infrarotwellen –, das nun zwischen ausgelagertem Knopf und Maschine vermittelt, zum anderen ist die Anreicherung des Maschinellen mit dem Symbolischen vonnöten.

 

Symbolische Maschinen

Was oft vergessen wird, da es jeglicher Handfestigkeit im dargestellten Sinne entbehrt, ist die erfolgreiche Eroberung des Symbolischen durch das Maschinelle. Das Symbolische als genuine Domäne des Geistes charakterisiert sich gerade durch seine Immaterialität. Handfestigkeit spielt hier, wenn überhaupt, eine andere, mittelbare Rolle. Das Maschinelle zeigt sich in den Sphären des Symbolischen von seiner strukturellen Seite und enthüllt sein Wesen als (Neu-)Ordnung – eine dem Menschlichen zugängliche, generierbare und erzeugbare Ordnung, deren Neuheit sie zu einer ›naturfremden‹ macht. [2] Im Bereich des Symbolischen unterliegen die (Neu-)Ordnungen anderen Bedingungen als in der materiellen Welt. Sie folgen dem von Sybille Krämer in ihren Schriften analysierten Dreischritt der Formalisierung, Kalkülisierung und Mechanisierung. [3] Dabei löst die Formalisierung die Ordnungen von einer Orientierung am Außen und befreit das Symbolische von den extrasymbolischen Bezügen des Semantischen. Dies ist Voraussetzung, um die Ordnungen auf sich selbst anzuwenden und das Hantieren nach expliziten Regeln in einem endlichen Symbolkanon zu konzipieren. Ein solches Hantieren ist rein syntaktischer Natur und kalkülisiert den Umgang mit dem Symbolischen in Form formal-operativer Zeichensysteme. Diese Kalkülsysteme lassen sich dann wie Maschinen – oder wie Sybille Krämer sie nennt: ›symbolische Maschinen‹ – betreiben, und der Zweck dieser Maschinen ist es, unendlich viele neue Zeichenketten aus einem endlichen Alphabet zu generieren. Zur Realisierung dieser symbolischen Maschinen bedient sich der Mensch der Schrift, einer operativ genutzten Schrift, die sich in den graphischen Notationen der logischen und mathematischen Kalkülsysteme manifestiert. [4] Hier kommt die Hand wieder ins Spiel, allerdings in einer durch Schrift vermittelten Weise sowie reduziert auf die Fläche des Papiers. [5] Die symbolischen Maschinen selbst besitzen keine Handfestigkeit, wohl aber das Trägermedium, auf dem sie sich abzeichnen. [6]

Wozu, so lässt sich fragen, benötigen wir Maschinen, die unendlich viele neue Zeichenketten zu generieren in der Lage sind? Wozu diese Verschwendung von Buchstaben und Zahlen? Solange Papier das Medium der ersten Wahl ist, ist an eine Inbetriebnahme der symbolischen Maschinen nicht wirklich zu denken. Das Hantieren mit ihnen beschränkt sich auf ein Analysieren ihrer Struktur, einen Vergleich oder eine Verknüpfung und Ineinanderüberführung zweier oder mehrerer dieser Maschinen. ›Verdichtung‹ kennzeichnet diesen analytischen Umgang mit den symbolischen Maschinen, etwa mit logischen und mathematischen Gleichungen, ›Repräsentation‹ kennzeichnet ihren Zweck. [7] Allerdings handelt es sich dabei nicht um Repräsentationen im Sinne einer sprachlichen Semantik, sondern um Repräsentationen abstrakter, struktureller Zusammenhänge und Funktionen. [8] Dies beantwortet die erste der beiden Fragen nach dem ›wozu‹. Denn die symbolischen Maschinen haben sich im Laufe der letzten vierhundert Jahre als äußerst nützliche Instrumente des Geistes herausgestellt, mit welchen es gelingt, Welt in ihrer Prozesshaftigkeit zu beschreiben. Das An- und Absteigen der mit symbolischen Maschinen generierten Zahlwerte stellt dabei die Zu- und Abnahme von Intensitäten und den Verlauf von Entwicklungen dar – beispielsweise das mathematisch-physikalisch berechenbare Abkühlen des morgendlichen Kaffees oder des Bremsweges eines Autos. Über Kaffee und Auto hinaus hat hier die Suche nach der Weltformel ihre Motivation. Das gesamte Spiel der Kräfte und Bewegungen aller Körper war und ist das ultimative Ziel des Denkens in und Hantierens mit symbolischen Maschinen. Eine solche Formel der Welt oder zumindest ihrer Subsysteme – beispielsweise des Wetters oder des Klimas – erlaubt nicht nur die Erklärung alltäglicher Phänomene, sondern auch die Vorausberechnung der zukünftigen Entwicklung eben jener Phänomene. In diesem Sinne haben sich die symbolischen Maschinen als Vorhersagemaschinen bewährt. Dies klärt auch die zweite Frage nach dem ›wozu‹, denn je mehr Zahlen generiert werden können, desto dichter und genauer werden die Entwicklungsbahnen, in welchen die möglichen Zukünfte voranschreiten. Ließen sich vor gut sechzig Jahren nur einige wenige Zahlwerte per Hand berechnen, so sind es heute Billionen und Trillionen pro Sekunde dank automatisierter Rechenkraft. [9]

Diese Menge an Zahlen, die symbolische Maschinen allerorts produzieren, setzt notwendigerweise den medialen Wechsel vom Papier zum Computer voraus. Dieser Medienwechsel von der Oberfläche des Papiers in das Kristallgewirr des Computers löst jegliche Anschaulichkeit auf. Auch ist Verdichtung kein Thema mehr. Im Gegenteil, erst jetzt, im Computer, können die symbolischen Maschinen ihre Arbeit als symbolproduzierende Maschinerien aufnehmen und sich gehörig entfalten. Dies tun sie mit einer enormen Vehemenz, so dass neben dem Universum des Menschen und dem der Maschinen ein rasant anwachsendes Datenuniversum entsteht.

 

Kernschmelze

Die spannende Frage ist nun, inwieweit diese Universen mit- und ineinander konvergieren, inwiefern handfeste und symbolische Maschinen verschmelzen. Nicht nur schieben sich zwischen Knopf und Maschine die Medien der drahtlosen Übertragung. Es nehmen auch die symbolischen Maschinen immer mehr Besitz von den handfesten Maschinen und unterwerfen diese ihrer Kontrolle. Damit bedarf es auch keiner Knöpfe mehr, denn die Durchdringung des Maschinellen mit dem Symbolischen – nachdem das Maschinelle zuvor das Symbolische seiner Logik durch Formalisierung, Kalkülisierung und Mechanisierung zuträglich machte – nutzt nun statt der Knöpfe Interfaces oder verzichtet sogar ganz auf jegliche menschliche Subordination, indem die Maschinen ›intelligent‹ werden und ihre adaptive Zweckdienlichkeit von selbst andienen.

Doch auch das Verschwinden der Grenzen zwischen diesen semiotisch angereicherten Maschinen und dem Menschen kündigt sich bereits an. Neuroprothetiken, miniaturisierte Sensor-Aktuatoren oder zu informationstragenden und -ausführenden Maschinen umfunktionierte Mikroorganismen unterlaufen die bisherigen Grenzziehungen zwischen Mensch und Maschine. Sie nutzen die ›Maschine Körper‹, um physisch wie informatisch direkten Kontakt herzustellen. Weder Knöpfe, Interfaces, noch andere Steuerungseinheiten sind dann als Vermittlungseinheiten vonnöten. Die neuen Maschinen kommunizieren direkt mit den Zellen unserer Körper. Dies alles geschieht automatisch und zum Wohle der ›Supereinheit‹ Mensch. Von Verbesserungen des Menschen ist die Rede, aber auch von Möglichkeiten, die bislang jenseits des Menschlichen liegen. [10]

 

Deus ex machina

So wie die Götter seit den Tagen der griechischen Tragödie den Theatermaschinen entstiegen oder sich mit Hilfe dieser auch wieder verflüchtigten, so steigt wohl bald ein neuer Geist aus den ›machinae symbolicae‹. Ein Geist freilich, den der Mensch selbst rief, weil erschuf – der aber dennoch, eingelassen in den Körper via semiotisch angereicherter Maschinen, für allerlei überraschende Wendungen sorgen wird. Nicht das göttliche Schicksal wird dann über das Weh und Wohl des Einzelnen entscheiden, sondern der Geist aus der Maschine – als überadaptierte Fürsorge wie auch als Fehlfunktion.

 

 

 



 

 

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Endnoten


[1] Gerhard Roth, Franz Killmeyer: Gsellmanns Weltmaschine, Wien 1996, http://www.weltmaschine.at.

[2] Friedrich Dessauer: »Technik in ihrer eigenen Sphäre« (1927), in: Peter Fischer (Hrsg.): Technikphilosophie, Leipzig 1996, S. 144-157, hier S. 149.

[3] Vgl. beispielsweise Sybille Krämer: Symbolische Maschinen. Die Idee der Formalisierung in geschichtlichem Abriß, Darmstadt 1988; Sybille Krämer: Berechenbare Vernunft. Kalkül und Rationalismus im 17. Jahrhundert, Berlin, New York 1991; Peter Koch, Sybille Krämer (Hrsg.): Schrift, Medien, Kognition. Über die Exteriorität des Geistes, Tübingen 1997, fortan zit. als Koch / Krämer 1997.

[4] »Es geht also um die Erfindung und Nutzung eines Typus von Schrift, der vom phonetischen Alphabet mit seiner engen Verbindung zur gesprochenen Sprache wohl zu unterscheiden ist. Ein solches Schriftsystem sei ›operative Schrift‹ genannt. Wir verstehen darunter ein genuin graphisches System, das aus einem diskreten Vorrat elementarer Zeichen besteht, sowie aus Regeln zur Bildung und Umbildung der Zeichen und Zeichenreihen. Dabei nehmen die Regeln ausschließlich bezug auf die syntaktische Gestalt, nicht aber auf die Bedeutung der Ausdrücke. Ein solches System kann auch als ›symbolische Maschine‹ gekennzeichnet werden.« (Sybille Krämer: »Schrift und Episteme am Beispiel Descartes«, in: Koch / Krämer 1997, S. 105-126, hier S. 115-116.)

[5] Schrift und Zahl sind hier die befähigenden Kulturtechniken. »Kulturtechnik befördert die Leistungen der Intelligenz durch Versinnlichung und exteriorisierende Operationalisierungen des Denkens. […] Kulturtechniken sind (1) operative Verfahren zum Umgang mit Dingen und Symbolen, welche (2) auf einer Dissoziierung des impliziten ›Wissens wie‹ vom expliziten ›Wissen, dass‹ beruhen, somit (3) als ein körperlich habitualisiertes und routiniertes Können aufzufassen sind, das in alltäglichen, fluiden Praktiken wirksam wird, zugleich (4) aber auch die aisthetische, material-technische Basis wissenschaftlicher Innovation und neuartiger theoretischer Gegenstände abgeben kann. Die (5) mit dem Wandel von Kulturtechniken verbundenen Medieninnovationen sind situiert in einem Wechselverhältnis von Schrift, Bild, Ton und Zahl, das (6) neue Spielräume für Wahrnehmung, Kommunikation und Kognition eröffnet.« (Horst Bredekamp, Sybille Krämer: »Kultur, Technik, Kulturtechnik: Wider die Diskursivierung der Kultur«, in: Dies. (Hrsg.): Bild Schrift Zahl, München 2003, S. 11-22, hier S. 18.)

[6] Sybille Krämer: »Von der ›Tiefe‹ des intellektualistischen Sprachbildes zur ›Oberfläche‹ der verkörperten Sprache«, in: Angelika Linke, Helmuth Feilke (Hrsg.): Oberfläche und Performanz. Untersuchungen zur Sprache als dynamische Gestalt, Tübingen 2009, S. 33-50; vgl. auch Gernot Grube, Werner Kogge, Sybille Krämer (Hrsg.): Schrift: Kulturtechnik zwischen Auge, Hand und Maschine, München 2005.

[7] Ernst Cassirer: Philosophie der symbolischen Formen. III: Phänomenologie der Erkenntnis, Darmstadt 1929.

[8] Ernst Cassirer: Substanzbegriff und Funktionsbegriff. Untersuchungen über die Grundfragen der Erkenntniskritik, Berlin 1910.

[9] Gabriele Gramelsberger: Computerexperimente. Zum Wandel der Wissenschaft im Zeitalter des Computers, Bielefeld 2010.

[10] Mihail C. Roco, William Sims Bainbridge: Converging Technologies for Improving Human Performance: Nanotechnology, Biotechnology, Information Technology, and Cognitive Science, Arlington 2002.